Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS)
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01.03.2022

Haben Schöffen das Recht zur Akteneinsicht? Verschiedentlich haben die Richter bei der Einweisung der Schöffen erklärt, dass diese kein Recht zur Akteneinsicht haben.

Die Auskunft, Schöffen haben kein Recht auf Einsicht in die Akten, ist schon deswegen falsch, weil in dem Fall des sog. Selbstleseverfahrens sogar vorgeschrieben ist, dass die Schöffen in die Akten sehen müssen, um die Urkunden und sonstigen Beweismittel zu lesen, auf deren Verlesung in der Hauptverhandlung verzichtet wird. Der BGH hat zwei Urteile gefällt (1960 und 1997), aus denen sich ergibt, dass der BGH die Akteneinsicht der Schöffen für zulässig, teilweise sogar für geboten hält.

Hier die Urteile:

Akteneinsicht von Schöffen Die Einsicht in die Anklageschrift durch Geschworene stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens dar. (Leitsatz d. Red.) BGH, Urteil vom 23.02.1960 - 1 StR 648/59

Aus den Gründen:

Die Angeklagten nahmen im Jahre 1941 im litauischen Grenzgebiet an den von den nationalsozialistischen Machthabern befohlenen Massentötungen von Juden und als Kommunisten verdächtigten Landeseinwohnern teil. Das Schwurgericht hat sie deshalb wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu Zuchthausstrafen verurteilt, und zwar L in 315 Fällen, K in 415 Fällen, S und Sch-H in 526 Fällen.

Die Revisionen der Angeklagten rügen Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Der Angeklagte K rügt, dass die Anklageschrift von den Geschworenen eingesehen worden sei. Das könnte nach der vom BGH übernommenen Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 32, 318; 53, 178; 69, 120; BGHSt 13, 73) ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit sein, der die Revision rechtfertigt. Der Senat hätte Bedenken, dieser Rechtsprechung weiterhin zu folgen. Er sieht keinen überzeugenden Grund, eine im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Berufs- und Laienrichtern aufrechtzuerhalten.

Auch den Laienrichtern, die dazu berufen sind, alle schwierigen Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art gemeinsam und gleichberechtigt mit den Berufsrichtern zu entscheiden, darf nach Ansicht des Senats unbedenklich zugetraut werden, Sinn und Bedeutung der Anklageschrift zu verstehen. Jedoch besteht im gegenwärtigen Falle zu einer Entscheidung dieser Rechtsfrage kein Anlass, weil die Rüge der tatsächlichen Grundlage entbehrt. Nach den dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden, der Geschworenen und des Ersatzgeschworenen wurde die Anklage den Geschworenen nicht zum Gebrauch überlassen. Sie verschafften sich auch auf andere Weise keine Einsicht. Dem Ersatzgeschworenen wurde sein Wunsch, die Anklage vor Abschluss der Verhandlung zu lesen, sogar ausdrücklich abgeschlagen.

Aushändigung von Tonbandprotokollen an Schöffen:

Werden den Schöffen in der Hauptverhandlung zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme aus den Akten stammende Protokolle über diese Beweismittel (hier: Tonbandprotokolle) als Begleittext zur Verfügung gestellt, so ist dies zulässig und verstößt nicht gegen die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit. BGH, Urteil vom 26.03.1997 - 3 StR 421/96

Sachverhalt:

Im Hauptverhandlungstermin vom 25.9.1995 wurden umfangreiche fremdsprachige Tonbandaufnahmen über eine nach § 100 a StPO angeordnete Telefonüberwachung vorgespielt, die anschließend durch einen Sprachsachverständigen anhand seiner bereits im Ermittlungsverfahren gefertigten Aufzeichnungen übersetzt wurden.

Nachdem die Schöffen am Ende des Sitzungstages geäußert hatten, dass sie dem Wortwechsel im einzelnen nicht folgen konnten und ihnen die Handelnden ebenso wie die in den Gesprächen erwähnten Personen, die Bezugspunkte, Örtlichkeiten und mögliche Tarnbezeichnungen für Rauschgift undurchsichtig geblieben seien, ließ ihnen der Vorsitzende Kopien der in den Akten enthaltenen Aufzeichnungsprotokolle zur Nachbereitung der bereits abgespielten und zum Mitlesen der an den folgenden Sitzungstagen noch abzuspielenden Tonbandaufnahmen aushändigen.

Die Aufzeichnungsprotokolle (71 Seiten) enthielten neben dem übersetzten Gesprächsinhalt Zusätze wie Datum, Anschlässe, Namen der Protokollführer und Übersetzer, erläuternde Anmerkungen, Zuordnung der Gespräche zu Personen, Hervorhebung wichtiger Passagen durch Fettdruck u. ä.; daneben waren den Protokollen einige Bearbeitungszusätze der Berufsrichter wie etwa Unterstreichungen, Streichungen, Hinweise u.ä. beigefügt. Nachdem die Überlassung der Aufzeichnungsprotokolle an die Schöffen durch die Verteidiger der Angeklagten beanstandet worden war, hat das LG auch noch die Teile der Protokolle, wie Zusätze u. ä., die bislang noch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden waren, zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht.

Die auf diesen Sachverhalt gestützten Ablehnungsgesuche gegen die Berufs- und Schöffenrichter hat das LG als unbegründet zurückgewiesen, weil auch eine möglicherweise strafprozessordnungswidrige Überlassung von Aktenbestandteilen die Besorgnis der Befangenheit weder der Schöffen noch der damit befassten Berufsrichter rechtfertige. Das LG hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Ihre Rechtsmittel, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügten, blieben ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat, wie der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 18.11.1996 näher ausgeführt hat, einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben. Der näheren Erörterung bedürfen nur die von beiden Beschwerdeführern erhobenen Verfahrensrügen, dass die Überlassung von Kopien der Telefonüberwachungsprotokolle an die Schöffen gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und gegen § 261 StPO verstoßen habe und dass ihre hierauf gestützten Befangenheitsgesuche gegen die Berufs- und Schöffenrichter zu Unrecht verworfen worden seien (§ 338 Nr. 3 StPO). Die Rügen sind unbegründet. Die Überlassung von aus den Akten stammenden Aufzeichnungsprotokollen an die Schöffen als Begleittext zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme über den Inhalt und die Bedeutung der abgehörten Telefongespräche war zulässig und verstie&szig; nicht gegen die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit. Die Gewährung von Akteneinsicht für Schöffen ist - ebenso wie für die beisitzenden Berufsrichter - gesetzlich nicht geregelt.

Die Rechtsprechung hat sich bisher, soweit ersichtlich, nur mit dem Sonderfall der Überlassung einer schriftlichen Darstellung der Staatsanwaltschaft über das Ergebnis der Ermittlungen an die Schöffen befasst und sie für unzulässig erklärt. Das Reichsgericht hat hierzu unter Berufung auf den sich aus der Entstehungsgeschichte ergebenden Willen des Gesetzgebers ausgeführt, dass eine solche Überlassung den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zuwiderlaufe, weil bei Schöffen die Gefahr bestehe, dass sich ihre Eindrücke aus dieser Darstellung mit denen aus der Hauptverhandlung vermischen könnten, während die Berufsrichter im allgemeinen aufgrund ihrer Schulung und beruflichen Erfahrung zwischen beiden Erkenntnisquellen unterscheiden könnten.

Der BGH ist bisher dieser Rechtsauffassung gefolgt. Jedoch hat der 1. Strafsenat in einem obiter dictum [Nebenbemerkung, d. Red.] Bedenken geäußert, dieser Rechtsprechung weiter zu folgen, weil die im Gesetz nicht vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Berufs- und Laienrichtern nicht überzeugend begründbar sei. Auch den Laienrichtern, die dazu berufen sind, alle schwierigen Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art gemeinsam und gleichberechtigt mit den Berufsrichtern zu entscheiden, dürfe unbedenklich zugetraut werden, Sinn und Bedeutung der Anklageschrift zu verstehen.

Demgegenüber hält die heute herrschende Meinung in der Literatur die Gewährung von Akteneinsicht für Schöffen im Hinblick auf eine gleichberechtigte, sachlich fundierte Entscheidung generell für zulässig, wenn nicht sogar im Einzelfall für geboten. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Überlassung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen an die Schöffen nicht aufrechterhalten werden kann, oder ob den Bedenken des 1. Strafsenats und der ablehnenden Meinung in der Literatur der Vorzug zu geben ist, wozu er allerdings neigt. Jedenfalls hält er die Überlassung von Tonbandprotokollen als Hilfsmittel zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme über abgehörte Telefongespräche in der Hauptverhandlung für zulässig. Er kann dies, ohne vorlegen zu müssen, entscheiden, weil es sich bei der Überlassung solcher Unterlagen um einen wesentlich anders gelagerten Sachverhalt als bei der Kenntnisnahme des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen handelt, bei dem die Bewertung des Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft im Vordergrund steht.

Nach § 30 I GVG üben die Schöffen ihr Richteramt grundsätzlich im gleichen Umfang, mit gleichem Stimmrecht und in gleicher Verantwortung wie die Berufsrichter aus. Sie haben dabei an einer Vielzahl von Entscheidungen in der Hauptverhandlung mitzuwirken, die Aktenkenntnis voraussetzen, wie etwa Vorliegen eines Vereidigungsverbotes nach § 60 Nr. 2 StPO, Berechtigung einer Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO, Zulässigkeit von Fragen nach § 242 StPO und anderen im Freibeweisverfahren zu treffende Entscheidungen. Zwar können sich die Schöffen die erforderliche Tatsachengrundlage auch durch einen entsprechenden Sachvortrag eines Berufsrichters verschaffen, doch widerspricht es grundsätzlich der gebotenen Gleichstellung, sie von jeglicher unmittelbarer Kenntnisnahme aus den Akten auszuschließen. Andernfalls bestände die Gefahr, dass die Schöffen insbesondere in komplizierten Verfahren gegenüber den Berufsrichtern benachteiligt und zu bloßen Statisten werden.

Demgegenüber hat die vom Reichsgericht angeführte Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme des Akteninhalts auf die Urteilsfindung nicht ein solches Gewicht, dass sie den Ausschluss der Schöffen von jeglicher Aktenkenntnis rechtfertigt. Zum einen können die Berufsrichter entsprechend ihrer Pflicht, die Schöffen bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen (vgl. Nr. 126 II RiStBV), durch entsprechende Erläuterungen dazu beitragen, dass auch diese den Unterschied zwischen den in den Akten schriftlich niedergelegten vorläufigen Ermittlungsergebnissen und den ausschließlich der Entscheidung zugrunde zulegenden Ergebnissen der Hauptverhandlung erfassen.

Im übrigen sind Schöffen auch sonstigen Einflussnahmen durch wertende Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung und in wesentlich stärkerem Maße durch tendenziöse Berichterstattung durch die Medien ausgesetzt, von denen sie sich ebenfalls freimachen müssen, um zu einem unbeeinflussten Urteil zu gelangen. Bei diesen von außen kommenden Einwirkungen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Schöffe seine Pflicht, ihnen keinen Einfluss zu gewähren und seine Überzeugungen ausschließlich aufgrund der Hauptverhandlung zu gewinnen, kennt und beachtet. Ebenso wenig ist in der Verlesung der vollständigen Gründe eines im Revisionsrechtszug aufgehobenen Urteils eine unzulässige Beeinflussung der Schöffen gesehen worden. Schließlich wird von ihnen erwartet, dass sie sich etwa nach erfolgter Erhebung eines Beweises wegen eines später zutage tretenden Verwertungsverbots von diesem Beweisergebnis innerlich freimachen. Eine entsprechende Kritikfähigkeit ist den Schöffen auch gegenüber dem Akteninhalt zuzubilligen.

Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass der Gesetzgeber den Schöffen durch das mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (Strafverfahrensänderungsgesetz) 1979 eingeführte und durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 erweiterte Selbstleseverfahren nach § 249 II StPO die Kenntnisnahme von Urkunden nicht nur gestattet, sondern sogar ausdrücklich vorschreibt. Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO hat schon deswegen keinen Erfolg, weil die in den Tonbandprotokollen enthaltenen Zusätze erläuternder und wertender Art durch ergänzende Beweisaufnahme in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Die auf die Überlassung dieser Unterlagen gestützten Ablehnungsgesuche sind somit ebenfalls unbegründet. Die Zusätze sind weder vom Umfang noch vom Inhalt her geeignet, die Besorgnis der Befangenheit der Schöffen zu begründen.



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